Musikschulunterricht Online

Seit März 2020 ist der Präsenzunterricht entweder garnicht oder nur mit Einschränkungen möglich. Ich muss gestehen, dass ich beim ersten Lockdown sehr skeptisch war, ob Fernunterricht überhaupt funktionieren kann. Inzwischen habe ich aber einen recht großen Ehrgeiz entwickelt, meine technischen Möglichkeiten zu nutzen und das Beste aus der Situation zu machen. 

Folgende Situationen machen einen Onlineunterricht alternativlos. Der Unterricht müsste ausfallen und ich als selbständige Lehrkraft hätte unter Umständen einen Einnahmeausfall, wenn
es einen Lockdown gibt
ich als Dozent in Isolierung oder Quarantäne bin
der Schüler in Isolierung oder Quarantäne ist
es zu Situationen kommt, bei denen einer der beiden Parteien nicht zum Unterrichtsort kommen kann (Beinbruch, Auto kaputt, Geschäftsreise etc.)
der Schüler Onlineunterricht wünscht

In der Zeit, in der zwar Präsenzunterricht erlaubt ist, aber Abstandsregeln und Maskenpflicht gelten, ergeben sich zu den oben genannten noch andere Vorteile:
keine Virusübertragung, keine Ansteckungsgefahr, keine Gefahr einer Quarantänemaßnahme seitens des Gesundheitsamtes
kein Mundschutz, mehr Mimik
Schüler haben ihr Instrument bereits ausgepackt und haben sich im Idealfall auch schon eingespielt
Möglichkeit des Heranzoomens, dadurch näher dran als im Präsenzunterricht mit Abstand
Umschalten zwischen Schülern im Gruppenunterricht (z. B. könnte man mit dem einen Schüler eine bestimmte Stelle üben während der andere sein Mikrofon und Lautsprecher ausstellt und zwischenzeitlich etwas anderes übt)
Dateiaustausch
keine Fahrtkosten/ Fahrtzeiten für Lehrer und Schüler
fehlt ein Schüler oder sagt kurzfristig ab, kann die Zeit, sofern man von zuhause aus unterrichtet, sicher sinnvoller genutzt werden als wäre man in externen Gebäuden
flexiblere Unterrichtsformen wie z. B. zweimal die Woche jeweils 15 min etc.

Selbstverständlich bietet der Präsenzunterricht trotz Maske und Abstand auch Möglichkeiten wie beispielsweise das direkte Zusammenspiel mit Interaktion usw., die der Onlineunterricht wegen der Latenz, also dem zeitlichen Versatz, so erst mal nicht bietet. Allerdings könnte ich mit meinem Setup auch mal schnell eine zweite Stimme als Video oder mp3 File mit Metronom aufnehmen und dem Schüler zum Mitspielen schicken.

Ziele des Onlineunterrichts
– Motivation geben bzw. erhalten
– Spaß haben
– möglichst Vieles und Vertrautes vom Präsenzunterricht übernehmen
– neue Möglichkeiten des Online Unterrichts zum Vorteil nutzen
– der Lehrer sollte sich möglichst professionell präsentieren und dem Schüler gutes Material bzw. Medien bereitstellen
– Arbeiten mit (selbst erstellten) Lehrvideos

ZOOM oder SKYPE?
Es gibt natürlich noch viele weitere Tools zur Videoübertragung, aber exemplarisch nenne ich nur diese beiden.
Skype ist wie ein Videotelefon. Habe ich die „Telefonnummer“ des Gesprächspartners, kann ich ihn anrufen. Dazu muss er auch „zuhause“ also online sein.
Zoom ist eher wie ein virtueller Konferenzraum mit vorgeschaltetem Wartezimmer. Meine Schüler bekommen praktisch die Adresse des Konferenzraumes. Dort warten sie im Warteraum, bis ich sie herein lasse. Ich habe erst Skype probiert und bin dann auf Zoom umgestiegen. Zum einen erschien mir die Verbindungsqualität besser zu sein aber der vielleicht noch wichtigere Grund ist, dass ich bei Zoom den Originalton einschalten kann, was bedeutet, dass keine Filter auf den Audiosignalen liegen. Die Filter bewirken, dass möglichst viele Nebengeräusche außer der Stimme herausgefiltert werden, also auch zum Teil Instrumente. Das kann dann recht abenteuerlich klingen…

Mögliche Setups für Schüler
1. Smartphone mit Handyhalterung über Klaviatur mit eingestellter Rückkamera oder bei Bläsern am Notenständer auf Augenhöhe
2. Smartphone mit Handyhalterung über Klaviatur mit eingestellter Rückkamera und Tablet mit zweitem ZOOM Account auf Notenständer
3. Laptop oder Desktop Computer mit zusätzlicher Webcam
4. Smartphone oder Tablet und das Display per Kabel mit HDMI Adapter oder über AirPlay auf Fernseher spiegeln

Klavierunterricht – Handyhalterung über der Klaviatur

Blockflötenunterricht – Fernseher als Bildschirm

Mein Setup als Lehrer
Im folgendem beschreibe ich mein Setup. Da ich möglichst viel in der Praxis ausprobieren möchte, ist es recht umfangreich und für einen guten Unterricht sicherlich in dieser Form nicht unbedingt nötig. Vieles davon ist kostengünstig bzw. kostenlos.

Hardware:
– Desktop Computer (alter Mac Pro von 2010)
– großer Bildschirm
– Zwei Camcorder mit HDMI to USB Sticks
– iPhone als Wireless Cam (Epoc pro App)
– iPad zur Präsentation von Noten, Grafiken, Videos etc. (per Kabel am USB Port)
– zweiter Monitor und Teleprompter für Augenkontakt
– Audio Interface mit Mixersoftware
– Mikrofon (Hyperniere)
– Instrumente für den Unterricht: Einsteiger Keyboard, Digitalpiano, Saxophon
– kabelgebundener Studio-Kopfhörer
– Beleuchtung mit Softboxen für weiches Licht
– Schalloptimierter Raum

Software:
– Zoom (kostenlos)
– OBS Studio (kostenlos)
– Nextcloud für den Datenaustausch
– Midisoftware (Midipipe, Midikeys) (kostenlos)
– Loopback (virtuelle Audioverbindungen)
– mp3 Recorder Software (Audio Hijack)
– Logic Pro (Audioproduktion, Notation)
– YouTube Channel (kostenlos)
– WhatsApp Desktop (kostenlos)

OBS Studio als Audio- und Videozentrale
OBS Studio ist ein kostenloses Echtzeit Video Schnittprogramm für MacOS, Windows und Linux mit der Möglichkeit, Szenen zu erstellen und per Tastaturkommando umzuschalten. Das Ausgabesignal kann dann als virtuelle Webcam für ZOOM dienen.

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Musikschulunterricht online

Meine Erfahrungen mit dem Onlineunterricht
Fernunterricht ist anders! Audio- und Videoqualität auf Seiten der Schüler sind oft nur mäßig und manchmal kommt es zu kurzen Aussetzern. Aber ich habe den Eindruck, dass sich seit dem ersten Lockdown im März einiges verbessert hat. Die Schüler gehen mit der neuen Situation sehr unbefangen um und stehen der Technik sehr aufgeschlossen gegenüber. Als Beispiel möchte ich einen achtjährigen Schüler nennen, für den es kein Problem war, eine von mir geschickte PDF-Datei innerhalb von einer Minute ausgedruckt auf seinem Notenständer stehen zu haben – ohne die Hilfe der Eltern! Einer anderen Schülerin konnte ich bei Einstellungsproblemen ihres Keyboards helfen. Zwei Schwestern haben mir ihre Ergebnisse kurz vor Weihnachten als WhatsApp Video geschickt, was mich sehr gefreut hat. Grundsätzlich lade ich jetzt häufig kurze (Lehr-)Videos auf YouTube hoch, nach denen die Schüler unter der Woche üben können. Jeder einzelne Schüler hat jetzt einen eigenen Datei-Ordner für Noten, Playbacks, Links etc., auf den er online zugreifen kann.
Was den Fernunterricht angeht, vermisse ich natürlich das Zusammenspiel mit meinen Saxophonschülern. Bei den meisten meiner Klavier- und Keyboardschüler hat das Zusammenspiel und später das Ensemble-Spiel in Band oder Orchester allerdings nicht so eine hohe Priorität. Sie können die Harmonie auch alleine voll abdecken und sind tendenziell auch eher „Einzelkämpfer“.
Ein hohes Ziel der Musikschulen ist sicherlich, den Schülern das Ensemblespiel in Bands oder Orchestern zu ermöglichen. Es gibt aber auch genügend Schüler, gerade auch bei den Erwachsenen, die lieber für sich spielen. Für diese Schüler käme dann vielleicht auch ein reiner Online Unterricht in Frage.

Ausblick
Musikunterricht online ist sicher nicht für jeden geeignet. Lehrer und Schüler müssen es auch wollen. Es hängt außerdem noch von vielen anderen Dingen ab, ob Fernunterricht gelingen kann wie z. B.:
– Persönlichkeit, Alter und Leistungsstand des Schülers
– Persönlichkeit/ Mentalität des Lehrers
– Instrument
– Ziele des Unterrichts
– technische Möglichkeiten und Fähigkeiten auf Seiten des Schülers und Lehrers usw.
Alles in allem denke ich aber, dass Online Unterricht in Pandemiezeiten eine gute Möglichkeit bietet, die Schüler „bei der Stange“ zu halten und auch musikalisch sowie persönlich zu fördern. Zudem kann der zukünftige Präsenzunterricht nach einer Pandemie durch Onlineunterricht und die damit verbundenen technischen Möglichkeiten wie Video- oder Audioaufzeichnungen, Datenaustausch etc. sehr bereichert werden. Auch einen Hybridunterricht könnte ich mir gut vorstellen.
Viele Schüler und Lehrer sind noch recht unzufrieden mit der (Online-)Situation: Bild ist zu klein, Handylautsprecher klingt nicht etc.
Aber: Das Breitband Netzwerk wird täglich besser. Jeder hat sicher einen großen Fernseher und eine gute Blutooth-Box. Eine gute Handyhalterung kostet 15,- €. Ein guter Beamer für lebensgroße Bildübertragung kostet deutlich weniger als ein iPhone 12.
Es bleibt spannend!

Ansgar Nitsche